Beschreibung
Der Koran ist ein himmlisches, ein göttliches Buch.
Er fasst unendlich viele Bedeutungsinhalte, von denen wiederum viele für den Menschen, bei seiner Menschwerdung und in seinem Entwicklungsprozess von Unmündigkeit und Triebbeherrschtheit zu Eigenmündigkeit und Vernunft, geistiger und spiritueller Vollkommenheit notwendig sind. Um so mehr haben es die Muslime nötig, hinreichend viel Kenntnis und Bewusstsein über dieses Buch zu gewinnen, wollen sie ihrer Verantwortung gerecht werden. Dieser Entwicklungsprozess beginnt mit dem korrekten Lesen und Vortragen der göttlichen Schrift auf der untersten Ebene des Menschengeschlechts und reicht mit wachsendem Bewusstsein bis in die höchste aller Bewussteinsstufen des von reiner und göttlicher Vernunft bestimmten Menschen. Der heilige Koran birgt, wenn man so will, die religiöse und göttliche Anthropologie.
Nichtsdestotrotz spielt die korrekte Lesung eine wichtige Rolle bei der wissenschaftlichen Erschließung des arabischen Textes. Nur richtiges und fehlerfreies Lesen führt rasch zum erforderlichen Verständnis der gemeinten Bedeutung. Ein kleiner Lesefehler kann darum manchmal zu großen Missverständnissen führen, ja zuweilen kann er die Bedeutung völlig umkehren. Doch das korrekte Lesen und Vortragen des heiligen Korans ist an eine Anzahl von Konditionen gebunden.
Erstens ist dies von einer der arabischen Sprache gerecht werdenden Artikulation der Laute, Ausdrücke und Sätze abhängig.
Zweitens von einer die segensreichen Verse und Worte des Korans betreffenden korrekten Beherrschung der Pausa und Punktstellen. Und genau darum bemüht sich die Wissenschaft, die wir unter allen Koranwissenschaften mit dem Begriff des “Gut-” oder “Richtigmachens” (Tajwîd) bezeichnen.
So gesehen kommt jemand, der die koranischen Begriffe in angemessener Weise erfassen möchte, nicht umhin, diese instrumentale Lehre zu erlernen. Denn das Erfassen und Verstehen der Inhalte des Korans vollzieht sich, wie bei allen Wissenschaften, nur schrittweise. Und einer der ersten dieser Schritte ist eine korrekte Lesung. Hier erlernt der Student die korrekte Artikulation der Buchstaben, Umlaute, Silben und Symbolzeichen, die Pause, Ausrufung, Frage und Betonung. Dadurch befähigt er sich, den heiligen Koran in angemessen schöner Weise und den dafür vorgesehenen Kunstregeln entsprechend zu rezitieren. Dazu gehört nicht nur das Verschmelzen ähnlicher und gattungsgleicher Buchstaben und das Nasalieren, sondern auch die ästhetische Schönheit des Vortrages.
Drittens vereinfacht die geregelte Lesung des Korans nach den Gesetzen der arabischen Sprache besonders die regelmäßige, ein besseres Erfassen der Wortbedeutungen, was für den Muttersprachler und den Studenten der arabischen Sprache gleichermaßen zutrifft. Denn in der gekonnten Artikulierung der Wörter und Sätze liegen, insbesondere im heiligen Koran, aufmerksam machende Hinweise und Verweise auf die im Satz eingebetten Bedeutungen.
Viertens vereinfacht eine bereits vorhandene Kenntnis dieser Instrumentallehre den Einstieg und das Fortschreiten in den übrigen Koranwissenschaften, wie der Chronik des Korans (Târih al-Qur’ân), dem Abrogierenden und Abrogierten (an-Nâsih wa al-Mansûh), dem Ein- und dem Mehrdeutigen (al-Muhkam wa al-Mutashâbih), den Lesarten (a1-Qirâ’ât), den historischen Anlässen und Hintergründen der Herabsendung (asbâb an-Nuzûl, die Fertigstellung und Vollendung des Korans, seine Aufklärung, Erziehung und Veredelung und allen damit verbundenen Zusammenhängen in Raum und Zeit.
Fünftens ist diese Lehre Mittel zum Zweck, um die transzendentalen Ideen und Wirklichkeiten dieser heiligen Schrift zu erklimmen, wobei dies das höchste und eigentliche Ziel seiner Offenbarung ist. In dieser Phase erlernt der Student die Exegese und Auslegung der Schrift (at-Tafsîr) und ihrer Methoden, die unterschiedlich und variabel sind. Das eine Mal bedient er sich der chronologischen (at-Tafsîr at-Tartîbiyy) und das andere Mal der thematischen Erläuterung (at-Tafsîr al-Maudû’iyy).
Also mal erörtert er die koranischen Verse entsprechend ihrer textlichen Reihenfolge, und mal fasst er eine komplette Thematik zusammen, ungeachtet an welcher Stelle im Koran diese erwähnt wird. Mit diesem Kompendium der Kunstregeln des Koranlesens möchten wir, in der Hofnung, dass der erhabene Gott diese bescheidene Arbeit, die keinen Anspruch auf absolute Vollständigkeit erhebt, würdig findet, den Interessierten eine für den deutschen Sprachkreis vielleicht neue Möglichkeit zugänglich machen.